Prof. Hans-Peter Beck und Dr. Ralf Benger Systemdienstleistungen: Batterie statt Kraftwerk
„Für die Momentanreserve existiert derzeit noch kein Markt“
Kohlekraftwerke erzeugen nicht nur Strom, sie stabilisieren auch das Stromnetz. Nimmt der Stromverbrauch kurzzeitig zu, sinkt die Netzfrequenz. Nimmt der Stromverbrauch plötzlich ab, weil zum Beispiel ein großer Verbraucher wie eine Fabrik abgeschaltet wird, steigt die Netzfrequenz. Die großen rotierenden Generatoren in Kraftwerken puffern kurze Schwankungen im Netz durch ihre Trägheit ab. Denn einmal in Bewegung, kann die Schwungmasse der Rotoren nicht so schnell abbremsen und hält so die Netzfrequenz für maximal zehn Sekunden im Takt. Werden mehr und mehr Kohlekraftwerke abgeschaltet, muss diese sogenannte Momentanreserve ersetzt werden.
Fachleute des Projekts ReserveBatt möchten diese Lücke mittels künstlich erzeugter Schwungmasse schließen. Wie das funktioniert, erläutern Professor Hans-Peter Beck und Dr. Ralf Benger vom Forschungszentrum Energiespeichertechnologien der Technischen Universität (TU) Clausthal im Interview.
Warum konzentrieren Sie sich auf die Momentanreserve?
Benger: Primär- oder Sekundärregelleistung werden von den Netzbetreibern vergütet. Für die Momentanreserve existiert derzeit noch gar kein Markt, da sie ja bislang kostenfrei und automatisch von Kraftwerken erbracht wurde.
Dennoch ist sie sehr wichtig, denn schon 2030 brauchen wir mindestens 14 Gigawatt Kraftwerksleistung, um unser Netz bei 50 Prozent regenerativer Energie mittels Schwungmasse stabil zu halten.
Was ist das Ziel des Forschungsvorhabens?
Beck: Ein Kraftwerk agiert als elektromechanische Synchronmaschine. Das heißt, es wandelt mechanische Energie mittels Generator in Drehstrom um – und zwar exakt mit dem durch die Netzfrequenz vorgegebenen Drehfeld. Weil die Schwungmasse im Generator träge ist, hat das Kraftwerk eine stabilisierende Wirkung auf das Stromnetz. Diese Funktion wollen wir mit einer Batterie nachbilden.
Allerdings liefert eine Batterie keinen Drehstrom, sondern Gleichstrom. Der Batteriestrom muss also zunächst umgewandelt werden, bevor er ins Netz kann. Der Schlüssel dazu ist die von uns patentierte virtuelle Synchronmaschine „VISMA“. Dabei handelt es sich um einen Einspeisewechselrichter mit spezifischem Steuerungs- und Regelungskonzept.
Damit programmieren wir den Umrichter so, dass die Batterie die Leistung wie die Synchronmaschine in einem Kraftwerk ins Netz einspeist. Im einjährigen Feldversuch wollen wir dann herausfinden, wie viel Kraftwerksäquivalent an Schwungmasse wir mit dem Gesamtsystem aus Batterie, Umrichter und VISMA erzeugen können.
Welche Batterie ist für dieses Konzept die richtige?
Benger: Das wollen wir herausfinden, indem wir mehrere verschiedene Batterietypen testen. Wir entwickeln ein Batteriesystem, das man in maximal sechs Minuten entladen könnte, ohne dass es Schaden nimmt. Wir brauchen daher nur einen kleinen (dezentralen) Energiespeicher – in etwa eine größere Fahrzeugbatterie. Derzeit arbeiten wir mit Nickel-Mangan-Cobalt und Lithium-Titanat-Zellen, die sehr hohe Stromtragfähigkeiten haben, bei gleichzeitig geringer Alterung. Nach unseren Hochrechnungen könnte man so bereits die Momentanreserveleistung eines 20-Megawatt-Kraftwerks elektrisch nachbilden.
Welche Probleme treten in Verbindung mit den Batterien auf?
Beck: Werden Lithium-Ionen Batterien mit großen Strömen geladen, können sich sogenannte Dendriten bilden. Also Ablagerungen von Kristallen an den Elektroden, die innere Kurzschlüsse verursachen können. Das wollen wir natürlich vermeiden, und deshalb loten wir hier die Grenzen aus. Außerdem messen wir neben Strom, Spannung und Temperatur zusätzlich noch die Dehnung der Zelle - und zwar im Mikrometerbereich. Wir sehen also direkt, wo etwas wächst, was da nicht wachsen soll. Das gab es bisher so nicht.
Wenn wir an das „richtige“ Stromnetz wollen, müsste sich an den gesetzlichen Rahmenbedingungen etwas ändern.
Dr. Ralf Benger, Technische Universität Clausthal
Wo ist Ihr System in der Praxis einsetzbar?
Benger: Zunächst integrieren wir das System in unsere lokale Energieverteilung und beurteilen dann gemeinsam mit dem Energieversorger vor Ort, wie wirksam unsere Maßnahme ist. Zu den technischen Fragestellungen kommen allerdings noch marktrechtliche und regulatorische Bedingungen hinzu, wie technische Anschlussbedingungen des Energieversorgers oder Netzkonformitäten.
Außerdem müssen wir den Markt für solche Lösungen definieren. Am ehesten bieten sich aktuell Industrienetze an. Wenn wir an das „richtige“ Stromnetz wollen, müsste sich an den gesetzlichen Rahmenbedingungen etwas ändern. Wir verfolgen den Ansatz die Geschwindigkeit der Leistungsbereitstellung zu vergüten. Also je schneller die Reaktion auf Netzereignisse, desto höher die Vergütung.
Das Interview führte Carolin Höher, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich, für den Forschungsjahresbericht "Innovation durch Forschung" 2018.